Nicht gut genug. Meine Story.

Nicht gut genug. Dieser Gedanke begleitete mich von der 7. Klasse bis weit in mein Berufsleben. Dabei war ich ein ausgesprochen glückliches Kind, dem es an nichts fehlte. Ich hatte alles: Felder und Wälder, Bauernhöfe links und rechts, ein riesiges Zimmer voller Playmobil und Mal-Utensilien und echte Freunde, mit denen ich Buden baute und Gummitwist spielte.

Kindheit in den 80ern, drei Mädchen an einem Tisch

Hier mit Angela, Steffi und einem neonpinken Cappy auf unserem Hof.   

 

Nicht mitreden können oder: nicht gut genug sein

Dann kam ich auf’s Gymnasium und erfuhr das erste Mal, was es heißt, nicht mitreden zu können. Ich war nicht beim Kunstturnen und spielte keine Geige. Auch hatte ich keine coolen großen Geschwister, die mich auf Parties mitnahmen. Wir flogen in den Sommerferien nicht in den Urlaub. Ich wollte das alles auch, besonders die Beachtung der Anderen. Meine schulischen Leistungen führten dazu, dass ich die 8. Klasse wiederholen musste. Ich fühlte mich noch weiter weg. Und, well … nicht gut genug.

Spaß hatte ich eigentlich nur an Kunst, Sprachen und Erdkunde (ich glaube ein Atlas war mein erstes Buch). Und daran, dass ich als Ältere einen etwas anderen Status im neuen Jahrgang genoss. Ich schloss grandiose Freundschaften und stellte das erste Mal fest, dass mich Leute für etwas respektierten: meine Kreativität. Und meine Coolness. Ich machte mein eigenes Ding und das kam an. Manche wollte sein, wie ich. Wow. 

Studienfahrt nach Prag, 2002.

Das hier ist deutlich später mit Andy, Nille, Sven (hinter dem Bier) und Sascha auf einer Studienfahrt in Prag. Ich hatte auch weibliche Freunde.

 

Kompetenz ist eine Frage der Perspektive

Nach dem (schlechten) Abi startete ich in die Werbebranche und damit in einen der schlechtbezahltesten Jobs überhaupt: Designer. Meine respektierte Kompetenz? Nichtig. Standard. Ich riss mir den Arsch auf und ging so viele Extrameilen, dass mir die Füße fast abfielen. Ich schloss meine Ausbildung als Beste ab, wurde Top 5 in Deutschland (womit sich meine Chefs gerne rühmten), machte einen Fachwirt (als Beste) hinterher und anschließend noch ein Studium neben dem Job (mit 1). Und doch: in der Agenturbranche waren die Designer die, die mal eben schnell was hübsch machten. Kann ja eigentlich jeder, aber die meisten machen ja was Besseres.

Ich hatte es so satt und wollte nur noch eins: den Beruf wechseln, was mit meinem Studium der BWL und Psychologie jetzt möglich war. Personalmanagement sollte es sein oder Führung oder beides. Hauptsache einen Titel, der Geld und Respekt versprach. Ich bekam all das und mehr. Und war totunglücklich. Das war nicht ich, alles war einfach nur anstrengend. Das änderte sich auch nicht, als ich einen 180°-Turn machte und zur Chef-Kreativen mit Führungsfunktion avancierte.

Pro­fes­siona­lität und Prototyp

Die Präsentationen vor Kunden fühlten sich zäh und hart an, obwohl ich eine geborene Eisbrecherin bin. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Kompetenz immer erst lang und breit beweisen muss, bevor mir vertraut wird. Und genau so war es. Ich entsprach nicht dem Bild meiner damaligen Rolle: der Ersteindruck von mir (rasierte Haare, Piercings, Boots) überschattete das, was ich darauf sagte und präsentierte.

Nicht gut genug für den Beraterjob: ein türkiser Sidecut.

Präsentier‘ das Bier! Auf dem wohl geilsten Festival ever ever ever: dem Extremefest (✝️) in Hünxe. Auf der Arbeit fehlte nur das Bier. Meistens.

 

Ich änderte das und morphte immer mehr in den Prototypen einer gebildeten Beraterin oder dem, was ich dafür hielt. Erst gefiel mir das (ich wollte gerne mal Schauspielerin werden und liebe es, neue Rollen auszuprobieren), aber es ermüdete mich schnell. Ich fing an, in den sozialen Medien darauf zu achten, welche Inhalte ich postete und wer diese sehen konnte. Ich unterdrückte meine Persönlichkeit bis zu einem leicht paranoiden Niveau.

Lena Küssner - damals unterwegs als alto.red.

Gestatten: Chief Impact Officer und Co-Founderin der Unternehmerberatung alto.red, Lena Küssner.

 

Nicht gut genug ist eine subjektive Bewertung

Ich habe schmerzhaft erfahren müssen, was ich spätestens in meinem Psychologie-Studium gelernt hatte: Menschen beurteilen dich. Immer, sofort, automatisch. Das ist nicht böse gemeint, sondern passiert innerhalb von Millisekunden. Das Gehirn scannt permanent die Umgebung nach Freund und Feind. Unbekanntes, bzw. etwas das nicht in das höchstpersönliche Raster fällt, wird sicherheitshalber skeptisch beäugt. Das ist normal und ich tue das auch! Du auch.

Der erste Eindruck sitzt sofort

Um einen ersten Eindruck zu revidieren braucht es eine gehörige Anstrengung. Unterschiedliche psychologische Wirkmechanismen erfordern, dass wir uns ganz bewusst ein zweites Bild machen müssen. Der Mensch ist aber faul (auch normal) und tut das nur sehr selten. Heute weiß ich, dass ich gut genug bin. Dass ich schon immer gut genug war.

Der zweite Eindruck erfordert Anstrengung

Gut ist eine Bewertung und Bewertungen sind selten objektiv. Jeder Mensch hat andere Maßstäbe. Die damaligen Agenturkunden haben eine andere Person erwartet. Als sie mich kennenlernten (ihnen blieb im Meeting nichts anderes übrig), formte sich ein positiver zweiter Eindruck. Meine neuen Jahrgangsmitschüler ab der 8. Klasse fanden mich per se schon mal cool, weil ich etwas älter war, als sie. Ich entsprach ihren Erwartungen einer coolen Person (Sitzenbleiben fanden damals einige cool und irgendwie rebellisch, ich nicht). Und da ich einen guten ersten Eindruck machte, hatte ich es im Weiteren leicht. Das wird in der Psychologie als Halo-Effekt bezeichnet.

Es gibt Menschen, die leiden unter dem Resting Bitch Face Syndrom. Ich gehöre dazu. Mein entspannter Gesichtsausdruck sieht abwertend, missmütig und wenig einladend aus. Es ist wichtig, zu wissen, wie man wirkt. Die Gesicht zur Faust geballt bringt einen nicht in allen Kreisen weiter.

 

Wir alle fällen Urteile

Diese Erfahrungen haben mich nachhaltig geprägt. Heute bin ich nach wie vor davon fasziniert, wie Wirkung und Wahrnehmung funktionieren und wie unterschiedlich Menschen die Welt um sich herum und die Personen ihnen gegenüber wahrnehmen. Das Internet und die jeweiligen Filterblasen machen das heutzutage sehr deutlich.

Ich frage mich beim Lebensmitteleinkauf des Öfteren, wie die Menschen mich beurteilen würden, wenn sie den Inhalt meines Einkaufswagens analysieren würden. Deswegen verstecke ich manchmal den Bacon unter dem Staudensellerie. Wir stecken Menschen in Schubladen und sichern uns damit unser Seelenheil. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

Wann anderer Menschen Urteil wichtig wird

Nun könnte es uns völlig egal sein, wie wir auf andere Menschen wirken. Wir lassen uns doch nicht in unserer Entfaltung schmälern, nur um in eine Schublade zu passen und Harmonie herzustellen! Alleine das zu schreiben, erzeugt bei mir eine Erhöhung des Herzschlags. Aber manchmal ist uns das Urteil anderer Menschen wichtig. Nämlich dann, wenn wir etwas bewirken wollen. Wenn wir ein Jobinterview haben, ein Date, eine Wohnungsbesichtigung, einen Banktermin … Wir wollen einen möglichst guten Eindruck machen. Ebenso wichtig ist uns das Urteil unserer potenziellen Kunden, wenn wir – zum Beispiel als Personal Brand – ein Unternehmen führen.

Wir wollen, dass Menschen uns vertrauen. 

Ich, wenn ich weiß, dass eine Kamera auf mich gerichtet ist und ich mein Bitch Face kurz umformen muss, weil ich gerne sympathisch aussehen möchte. Ja, das ist eine Capri-Sonne.

 

An dieser Stelle ist es wichtig zu unterscheiden zwischen einer einmaligen Situation, wie einem Banktermin, oder einer Dauersituation, wie der eines Unternehmers oder einer Unternehmerin. Bei einmaligen Anlässen können wir uns mal verstellen. Da strengen wir uns an, dem Prototypen des Gegenübers zu entsprechen, um schnell das zu bekommen, was wir uns wünschen. Das ist auf Dauer allerdings nicht fortführbar – ich spreche da aus leidlicher Erfahrung.

Ob wir uns gut genug fühlen kommt auch auf unser Gegenüber an

Um als Personal Brand langfristig erfolgreich zu sein, ist es nötig, sich nicht verstellen zu müssen. Wir können uns nur gut genug fühlen, wenn unser Gegenüber uns dieses Gefühl bestätigt oder zumindest nicht das Gegenteil erzeugt. Wer sich immer unzulänglich fühlt, der wird im Burn-out landen. Folglich bedeutet das, dass wir uns regelmäßig die Frage stellen sollten, ob unsere Zielgruppe (noch) zu uns passt.

Jeder, der drei Fachbücher über ein Thema gelesen hat, ist ein guter Berater für denjenigen, der neu auf dem Gebiet ist. Er ist ein schlechter Berater für diejenigen, die das Fachgebiet studiert haben. Ein Gespräch mit dem Laien fühlt sich fantastisch an, denn man kann etwas Neues mitgeben, jemanden erleuchten oder inspirieren! Das Gespräch mit der Fachautorität dagegen kann sich anfühlen, als wäre man ein Grundschüler. Man fühlt sich nicht gut genug.

Unsere Zielgruppe muss zu uns passen. Sie ist aber nicht fix, sie darf mit uns wachsen und wir dürfen ihr entwachsen. Zu jeder Zeit sollte uns unsere Zielgruppe das Gefühl geben, gut genug zu sein, kompetent zu sein (dann entsteht im Übrigen auch der positive Antrieb, noch besser werden zu wollen). Dazu gehört, dass wir sie mit dem ersten Eindruck von uns überzeugen. Genauso, wie ich volles Vertrauen in eine Friseurin habe, die selbst einen perfekten Haarschnitt hat.

Exkurs: manchmal reicht Anerkennung nicht

Auch, wenn wir von allen in höchsten Tönen gelobt werden — es gibt ein Phänomen, das insbesondere unter High Achieving Women auftritt: das Imposter- oder auch Hochstapler-Syndrom. Man hält sich und seine Erfolge für glückliche Fügungen oder Schicksal und leidet unter der Sorge, dass man in Kürze auffliegen wird. Dass es den Menschen auffällt, dass man eigentlich gar nichts kann. Viele berühmte Persönlichkeiten leiden unter dieser unbegründeten Sorge, z.B. Oscargewinnerin Meryl Streep. Man könnte meinen, dass der Academy Award Anerkennung genug ist.

Dennoch: Menschen, die am Imposter-Syndrom leiden sind Tiefstapler, die sich am liebsten verstecken würden, aus Angst, dass man sie enttarnt. Und was soll ich sagen: bei mir ist es ganz ähnlich. Mir hilft es, wenn ich mir jeden meiner Erfolge bewusst abspeichere und in Momenten des Zweifels hervorhole. Ich mache Screenshots und journale. Und dennoch: es ist nicht einfach so rational abzuschütteln.

Wie meine Story der Kern meines Unternehmens geworden ist

Ich bin unter anderem ins Unternehmertum gegangen, weil ich mir dort meine Zielgruppe selbst aussuchen kann. Ich habe mir die ausgewählt, die eine Designerin wertschätzt, weil sie gerne deren Fähigkeiten besitzen würde. Ich habe das Glück, dass der Prototyp des Designers in meiner Zielgruppe schon ganz grundsätzlich einen großen Spielraum hat, was das Erscheinungsbild angeht. Mir war wichtig, dass meine Zielgruppe darüber hinaus auf meinem Humor- und Intelligenzlevel unterwegs ist. Das heißt nicht, dass sie studiert haben müssen, sondern, dass sie meine pop-kulturellen-internet-phänomen-igen Nerdigkeiten einordnen können sollen.

Meine Außendarstellung ist zu fast 100% ich (Anmerkung: alles geht nicht, das verwirrt – dazu schreibe ich ein anderes Mal). Jetzt, nach meinem Relaunch noch mal umso mehr! Mein erster Eindruck ist nahezu deckungsgleich mit dem zweiten Eindruck. Ich höre sehr oft in Kennenlerngesprächen, dass ich total so sei wie im Internet. Das ist gut! Genau das wollen wir als Personal Brands erreichen: dass unsere Zielgruppe das Gefühl hat, uns zu kennen. Das schaffen wir nicht, wenn wir eine Rolle spielen.

Das, was ich selbst erlebt habe, ist heute das, wovor ich andere bewahren will. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass Menschen auf die Menschen treffen, die ihnen das Gefühl geben gut genug zu sein. Ich nutze mein kreatives Können, um ihnen einen positiven ersten Eindruck zu verschaffen. Das geht nicht, wenn wir ein Brand Design im luftleeren Raum vor dem Spiegel erstellen. Das geht nur, wenn wir mit der Zielgruppe und den Wettbewerbern im Stuhlkreis sitzen. Keine Sorge, in komischen Meetingsituationen bin ich mittlerweile Profi!

Mehr über mich erfährst du auf meiner Über-Lena-Seite. Ist deine eigene Story auch so eng mit deinem unternehmerischen Antrieb verbunden?

 

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